Mehr als 30 Jahre nach der letzten Schicht präsentiert sich das einst größte Steinkohlenbergwerk der Welt als ein atmosphärischer Kraftort im Essener Norden, der seine Inspiration aus der Gleichzeitigkeit von großer Geschichte und visionär Neuem bezieht. Das Welterbe Zollverein ist heute ein vitaler Standort, der über seine touristische und kulturelle Anziehungskraft hinaus in den letzten zehn Jahren eine immer stärkere wirtschaftliche Bedeutung erlangt hat.
Während in den ersten drei Dekaden nach der Schließung überwiegend die öffentliche Hand auf Zollverein Investitionen tätigte und auf diese Weise für eine Anschubfinanzierung sorgte, zieht das Welterbe nun zunehmend Unternehmen an, die auf dem Areal in Neubauten bzw. die Sanierung der historischen Bausubstanz investieren: Allein in den Jahren 2016 und 2017 wurden auf dem Welterbe private Investitionen von rund 190 Millionen Euro ausgelost. Die daraus resultierenden temporären und dauerhaften Beschäftigungseffekte sind stark und signifikant. Beispielsweise bei der Grand Hall Zollverein GmbH, die seit 2017 in der ehemaligen Sauger- und Kompressorenhalle auf der Kokerei Zollverein eine hochmoderne Veranstaltungshalle für 2.500 Gaste betreibt. Auch der Neubau der Folkwang Universität der Künste auf einer Freiflache der ehemaligen Zollverein-Schachtanlage 1/2/8 ist das Ergebnis einer privatwirtschaftlichen Investition, ebenso wie die neuen Unternehmenssitze von RAG-Stiftung und RAG Aktiengesellschaft sowie ein Hotel, das 2019 den Betrieb aufnimmt.
Die Vermietungsquote der sanierten Hallen und Gebäude betragt heute nahezu 100 Prozent – eine Zahl, die für den erfolgreichen Wandel und die Attraktivität des Geländes spricht. Mittlerweile haben rund 40 Unternehmen, überwiegend aus der Kreativwirtschaft, ihren Sitz auf dem Welterbe und profitieren von den vielfältigen Standortfaktoren – darunter namhafte Agenturen wie KNSK West und die Digitaleinheit „Schacht One“ des Haniel-Konzerns. Insgesamt sind bis 2018 rund 1.500 neue Arbeitsplatze auf Zollverein entstanden. Mit dem neuen Gründerzentrum eines privaten Investors und Projektentwicklers, das ab 2018 auf der Kokerei errichtet wird, kommen weitere 500 Arbeitsplatze hinzu.
Auch für die angrenzenden Stadtteile haben diese Investitionen unmittelbare Effekte: Der innovative Nutzungsmix aus Wirtschaftsunternehmen, Neugründungen, touristischen Angeboten, Kultur, Eventbusiness, Forschung und Lehre sorgt für eine nachhaltige Quartiersentwicklung mit neuer Wirtschaftskraft, die perspektivisch eine städtebauliche und soziale Werterhöhung im Umfeld des Welterbes zur Folge hat. Zollverein ist inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus zum Identifikationssymbol geworden: Das Doppelbock-Fördergerüst ist heute Wahrzeichen für den erfolgreichen Wandel der ehemaligen Kohle- und Stahlstadt Essen und des gesamten Ruhrgebiets, der einst größten Industrieregion Deutschlands.
In den vergangenen Jahren hat sich das Welterbe zu einem international beachteten Kultur- und Wirtschaftsstandort entwickelt. Die Stiftung Zollverein und ihre Partner setzen diesen Weg mit weiteren neuen Ideen und innovativer Gestaltungskraft auch künftig konsequent fort und sprechen dabei in Anlehnung an den „Bilbao-Effekt“, der die erfolgreiche Quartiersentwicklung in der nordspanischen ehemaligen Industriestadt bezeichnet, zu Recht vom „Zollverein-Effekt“. Heute ist Zollverein ein internationales Vorzeigebeispiel für die Transformation industrieller Standorte und gleichzeitig ein innovativer Exzellenzstandort. Gute Voraussetzungen für die Zukunft.
Zur Person
Hermann Marth begann seine Tätigkeit auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein Ende 2007 zunächst als Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Zollverein. Im Anschluss war er zehn Jahre lang – von Mitte 2008 bis Mitte 2018 – als Vorstandsvorsitzender tätig und hat in dieser Zeit die Stiftung Zollverein maßgeblich geprägt. Zu seinen Leistungen gehörten insbesondere die Zusammenführung von bis dato eigenständig operierenden Institutionen auf dem Areal, nämlich von Entwicklungsgesellschaft Zollverein, Ruhr Museum und der „alten“, 1998 gegründeten Stiftung Zollverein.
Der Anfang der institutionellen Forderung durch das Land NRW, die Homogenisierung der Eigentumsverhältnisse, die Anlage des Stiftungskapitals und auch die großen Neubauten – darunter die Ansiedlung der Folkwang Universität der Künste, der RAG-Stiftung und RAG AG – zählen zu den herausragenden Stationen.
Zollverein – Welterbe und Zukunftswerkstatt
Das soeben erschienene Buch dokumentiert die gelungene Metamorphose der ehemaligen Industrieanlage in ein internationales Best-Practice-Modell für den Umgang mit industriellem Erbe.
Zollverein – Welterbe und Zukunftswerkstatt Herausgegeben von Hermann Marth für die Stiftung Zollverein Jovis Verlag, Berlin, 39,95 €