Herr Tönjes, Sie haben dieser Tage am Standort Zollverein das Büro gewechselt. Ist die Aussicht aus dem Fenster des Vorstandsvorsitzenden der
RAG-Stiftung besser?
Mein bisheriges Büro war genau an der anderen Gebäudeecke, man kann es von hier aus sehen. Die Aussicht hat sich daher nicht wesentlich geändert. Auch die Perspektive ist gleichgeblieben: Der Blick ist nach vorne gerichtet.
Mit der neuen Position verbunden ist die Verantwortung für das Großprojekt „Glückauf Zukunft“. Was verbinden Sie damit?
Ich habe das Projekt bei der RAG bereits mitbegleitet, zusammen mit Evonik und der IGBCE. Bei der RAG-Stiftung liegt die Federführung, aber es ist eine gemeinsame
Initiative, auf die alle Beteiligten wirklich stolz sein können. Neben Projekten, die die Leistungen des Bergbaus würdigen, birgt „Glückauf Zukunft“ auch eine Reihe großer Zukunftsprojekte. Beispielsweise die Gründerinitiative, die uns dabei hilft, in einer Region, die geprägt war durch die Montanindustrie, die Lücke durch Start-ups und kleinere, mittelständische Unternehmen zu schließen. Mit dem Projekt „Glückauf Nachbarn“ wiederum wollen wir zeigen, welchen Beitrag aktive Quartiers- und Flächenentwicklung für erfolgreiche Integration leisten können. Und nicht zu vergessen der Schülerwettbewerb „Förderturm der Ideen“, mit dem wir junge Leute einbeziehen und sie dazu aufrufen, sich mit Vorschlagen an der Weiterentwicklung der Bergbauregionen zu beteiligen.
Mit dem Ende der Steinkohlenförderung schließt ein über 200 Jahre währendes Kapitel der Region, der Motor wird abgestellt, es gibt keine Steiger mehr. Was bringt die Zukunft?
Noch treffender als den Begriff Steiger finde ich die Bezeichnung Kumpel. Und ja, die Kumpel als solche wird es so nicht mehr geben. Alle Schächte, auch Schacht XII auf Zollverein, werden verfüllt. Arbeit „unter Tage“ abseits der Wasserhaltung entfällt. Aber das ist kein abrupter Prozess. Bis auf Bottrop am nördlichen Rand ist das Ruhrgebiet schon lange eine Nachbergbau-Region. Heute spielt der Dienstleistungssektor bereits eine große Rolle. Der größte Arbeitgeber in der Region ist die Gesundheitswirtschaft – langst ein neuer Motor. Zudem hat sich das Ruhrgebiet in den letzten Jahrzehnten zu einer prosperierenden Hochschullandschaft entwickelt, nachdem die Region bis in die 1950er-Jahre praktisch hochschulfrei war. Mittlerweile zählen wir hier mehr als 270.000 Studierende. In Bochum ist die Ruhr-Universität beispielsweise der größte Arbeitgeber der Stadt. Das ist Zukunft.
Aus Ihrem Fenster schauen Sie bald auf das neue Gründerzentrum von Zollverein. Wie weit sind die Planungen für den Euref-Campus?
Wir haben uns bei einem Besuch in Berlin ein Bild vom dortigen Euref-Campus gemacht und sind durchaus beeindruckt. Manche Ideen lassen sich sicher auch hier umsetzen. Grundsätzlich begrüßen wir das Engagement privater Investoren auf dem Standort. Zum Stand der Planungen selbst müssen Sie allerdings Reinhard Müller fragen. Ich weiß, dass er das Projekt mit Elan vorantreibt.
Das UNESCO-Welterbe Zollverein ist das Wahrzeichen einer ganzen Region. Welche Vision, welche Ziele ergeben sich daraus für Sie als einen der wesentlichen Akteure am Standort?
Unser Ziel muss es sein, dass das Welterbe Zollverein auf lange Sicht der Leuchtturm der Region bleibt. So wichtig wie der Erhalt des Denkmals als Welterbe ist, so wichtig ist es, den Blick klar nach vorne zu richten. Daher ist mir neben den genannten Gründeraktivitäten die Quartiersentwicklung als Lebens- und Arbeitsraum für junge Menschen wichtig. Die Folkwang Universität der Künste mit ihren über 500 Studierenden im Fachbereich Gestaltung ist dafür ein wichtiger Faktor – mit Wohnraum, Studentenkneipen und Cafés im Umfeld und vielem mehr.
Sie gelten in der Branche als klar strukturierter, sachlicher Experte. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie sähe dieser aus?
(lacht) Ich wünsche mir, dass sich der Anschluss des Öffentlichen Nahverkehrs an den Standort verbessert, die Busse durch- statt nur an Zollverein vorbeifahren. Zollverein strahlt in die umliegenden Stadtquartiere aus. Mit einer Verbesserung der ÖPNV-Situation wurden wir noch mehr Verbindungen zwischen dem Welterbe und der Stadt schaffen, speziell für die jungen Leute, von denen ich eben gesprochen habe.
Das Gespräch führte Guido Schweiß-Gerwin
Zur Person
Bernd Tonjes, Jahrgang 1955, geboren in Dorsten, bekam Ende 1981 sein Diplom als Bergbauingenieur an der RWTH Aachen ausgehändigt. 1982 startete er seine berufliche Karriere als Steiger im Bergwerk Fürst Leopold/Wulfen. Stationen wie Grubenbetriebsführer, Betriebsdirektor, Werksleiter und Sprecher der Geschäftsführung zeichneten seinen Weg zur ersten Berufung als Vorstand im Jahr 2000. Ab 2008 war er Vorsitzender des Vorstands der RAG Aktiengesellschaft, im Mai 2018 übernahm er von Dr. Werner Müller das Amt des Vorstandsvorsitzenden der RAG-Stiftung. Zudem ist er seit Januar 2016 Moderator des Initiativkreises Ruhr.