Fragt man sie, wie sie fotografiert, antwortet Brigitte Kraemer: „Es ist nicht meine Art, Fotos zu inszenieren. Ich versuche grundsätzlich, nicht einzugreifen.“ Ihren Bildern merkt man ihr Gespür für den richtigen Augenblick, für das Ungestellte an. Mitten im Leben sind sie. Ganz nah an den Menschen. Davon können sich auch Gäste der Ausstellung: „Wie man lebt – wo man lebt. Dokumentarfotografien von Brigitte Kraemer“ selbst überzeugen. Zu sehen sind etwas mehr als 200 Fotos, eine Vielfalt an Themen, in Schwarz-Weiß und in Farbe. Sie alle stammen aus dem Fotoarchiv des Ruhr Museums, dem die 1954 in Hamm geborene Fotografin ihr Gesamtwerk schon jetzt, zu Lebzeiten also, übergeben hat.
Künstlerisches Forschen
Der erste der drei Ausstellungsbereiche zeigt unter dem Titel „So nah: Freizeit und Alltag“ Bilderserien von Menschen auf Campingplätzen, in Imbissbuden, Eisdielen oder am Kanal. Darunter viele alltägliche Settings, die heute im Ruhrgebiet Kultstatus haben. Brigitte Kraemer hat schon früh gespürt: Das sind Orte, die zu dokumentieren es sich lohnt. „Ihre Arbeit ist sehr künstlerisch. Speziell auch in der Art, wie sie ihre Themen sucht, in einem Prozess des künstlerischen Forschens“, erklärt Stefanie Grebe, die die Ausstellung gemeinsam mit ihrem Team kuratiert hat. Brigitte Kraemer arbeitet oft bewusst ohne Auftrag und bietet die so entstandenen Arbeiten an. „Alltagsthemen werden von Redaktionen, die oft eher auf Sensationsthemen aus sind, schnell übersehen“, sagt die Fotografin, die seit 1982 in Herne lebt. „Als der ‚Stern‘ aber zum Beispiel einige meiner Pommesbuden-Fotos veröffentlichte, berichtete mir die Redaktion, sie hätten selten so viele positive Rückmeldungen auf einen Beitrag bekommen.“
Nah, aber nie übergriffig
„Brigitte Kraemer fotografiert analytisch, mit viel Einfühlungsvermögen, einem sehr guten soziologischen Gespür und Humor“, sagt Stefanie Grebe. „Nie stellt sie die Menschen bloß.“ Dieses Feingefühl wird besonders im zweiten Ausstellungsbereich deutlich, überschrieben mit: „So fern: geschlossene und geschützte Räume“. Dazu zählen Aufnahmen aus dem Frauengefängnis und aus dem Frauenhaus. Auch Bilder aus dem Friedensdorf International in Oberhausen sind zu sehen – ein Thema, auf das Brigitte Kraemer durch eine Auftragsarbeit für den „Stern“ stieß und das sie nicht losließ. Die Not der Kinder, die schrecklichen Folgen des Afghanistan-Krieges und weiterer Kriege – die Fotografin arbeitete schließlich ein halbes Jahr im Friedensdorf. „Immer nur im Auftrag zu arbeiten wäre mir zu wenig gewesen“, sagt sie. „Ich nehme mir gern Zeit für die Themen.“ Zeit, um die Hintergründe zu verstehen und Menschen kennenzulernen. Gerade für das Fotografieren in geschützten Räumen braucht es Vertrauen.
Mit offenen Augen durch die Welt
Wie Kraemer im Allgemeinen ihre Themen findet? „Indem ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Ich nehme die Veränderung wahr und denke: Das könnte ein Thema sein.“ So war es auch mit den türkischen Gärten auf Brachflächen im Ruhrgebiet, die im dritten Ausstellungsbereich „So fern und so nah: Glaubensgemeinschaften, Flucht und Migration“ zu sehen sind. „Mir fiel auf, dass immer mehr von diesen Flächen, wo die Menschen gegrillt und Fladenbrot gebacken haben, bebaut wurden“, erzählt Brigitte Kraemer. „Da war für mich klar: Das ist etwas, was man jetzt fotografieren muss. Mittlerweile sind wirklich die meisten dieser Flächen bebaut.“ Durch den Kontakt mit eingewanderten Menschen wiederum kam sie mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Berührung – ein nächstes Thema war gefunden. Neue Bilder entstanden, die Betrachtenden sind wieder ganz nah dabei. „Man wird förmlich hineingesogen in die Bilder“, beschreibt Stefanie Grebe die Wirkung von Kraemers Fotografie. „Als wäre man bei den Familien im Wohnzimmer.“